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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.02.2009
Aktenzeichen: 15 B 210/09
Rechtsgebiete: KAG NRW
Vorschriften:
KAG NRW § 8 |
Beim Ausbau nur der unselbständigen Stichstraßen sind auch die Anlieger des Hauptzuges beitragspflichtig, wenn dieser Teilausbau der Gesamtanlage beitragsfähig ist.
Ein gleicher Gemeindeanteil für Gehwege von Haupterschließungsstraßen wie für Anliegerstraßen ist unwirksam.
Tatbestand:
Der Antragsteller wandte sich gegen einen Straßenbaubeitragsbescheid u. a. mit dem Argument, die Anlieger der vom ausgebauten Hauptzug der A-Straße abzweigenden Stichstraßen hätten in die Verteilung einbezogen werden müssen. Im Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung gab das VG dem Antrag unter diesem Gesichtspunkt teilweise statt. Dagegen richtete sich die erfolglose Beschwerde des Bürgermeisters.
Gründe:
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners können die drei Sackgassen, die auf den ausgebauten Teil der A-Straße münden, aus den im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründen nicht als selbständige Anlagen eingestuft werden, so dass - wie das VG zu Recht ausgeführt hat - voraussichtlich die an die Sackgassen angrenzenden Anliegergrundstücke in die hier in Rede stehende Verteilung einzubeziehen sind.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die räumliche Abgrenzung einer ausgebauten Anlage dann, wenn - wie hier - die Straßenbaubeitragssatzung als Anlage solche "im Bereich der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze" definiert, auf das Bauprogramm abzustellen. Dieses legt die räumliche Ausdehnung der Anlage fest und bestimmt, wo, was und wie ausgebaut werden soll, und zwar so konkret, dass festgestellt werden kann, ob die Anlage im Sinne des § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG NRW endgültig hergestellt ist. Die Maßgeblichkeit des Bauprogramms unterliegt jedoch gewissen rechtlichen Schranken, die dazu führen können, dass die räumliche Ausdehnung einer Anlage über das Bauprogramm hinausgeht oder hinter diesem zurückbleibt. Diese Schranken ergeben sich aus dem dem Straßenbaubeitragsrecht zugrunde liegenden Vorteilsgedanken. Da der wirtschaftliche Vorteil ein Erschließungsvorteil ist, muss die Anlage so begrenzt werden, dass ihr erkennbar eine Erschließungsfunktion für bestimmte Grundstücke zukommt. Das setzt voraus, dass die Anlage selbst durch örtlich erkennbare Merkmale oder nach rechtlichen Gesichtspunkten abgrenzbar ist. Weitere Voraussetzung ist, dass durch die Abgrenzung der Anlage alle Grundstücke erfasst werden, denen durch die Ausbaumaßnahme annähernd gleiche wirtschaftliche Vorteile geboten werden.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.1.2009 - 15 A 3137/06 -, S. 9 des amtlichen Umdrucks; Beschluss vom 20.7.2007 - 15 A 785/05 -, NVwZ-RR 2007, 808.
Unter dem letztgenannten Gesichtspunkt kann die Anlagenabgrenzung über das Bauprogramm hinausreichen, wenn vom ausgebauten Hauptzug zufahrtsähnliche Straßenteile abzweigen, die lediglich unselbständige Anhängsel des ausgebauten Straßenzuges darstellen. Ob ein Straßenzug selbständige Straße oder unselbständiges Anhängsel eines Straßenhauptzuges ist, bemisst sich nach dem Gesamteindruck, der sich nach den tatsächlichen Verhältnissen einem unbefangenem Beobachter darbietet, vor allem unter Berücksichtigung von Länge und Breite des Abzweigs, der Beschaffenheit seines Ausbaus, der Zahl der durch ihn erschlossenen Grundstücke sowie des damit verbundenen Maßes der Abhängigkeit vom Hauptzug.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Juli 2006 - 15 A 2316/04 -, NWVBl. 2007, 150.
Das VG hat die Sackgassen nach diesen Maßstäben eingestuft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass es sich um unselbständige Anhängsel handelt. Dagegen trägt der Antragsgegner nichts Durchgreifendes vor.
Soweit er meint, aus dem Urteil des Senats vom 25.1.2005, - 15 A 548/03 -, NVwZ-RR 2006, 63, wegen der unterschiedlichen Ausstattung der Sackgassen einerseits und des Hauptzugs der A-Straße andererseits ein Verbot der Behandlung aller Teile als eine Anlage ableiten zu können, verkennt er, dass es dort darum ging, ob ein Bauprogramm, dass den Ausbau zweier Straßen zum Gegenstand hatte, die zweifelsfrei selbständigen Charakter hatten, zur Zusammenfassung der beiden selbständigen Straßen zu einer Anlage zwang, während es hier allein darum geht, ob die Stichstraßen jeweils den Charakter einer selbständigen Anlage haben.
Auch der vermeintlich geringere Vorteil der an den Sackgassen liegenden Anlieger im Hinblick auf den ausgebauten Hauptzug der A-Straße kann die Beurteilung der Stichstraßen als unselbständige Anhängsel des Hauptzuges nicht erschüttern: Es ist gerade der Zweck der Differenzierung zwischen selbständigen Anlagen und unselbständigen Anhängseln, wegen der fehlenden selbständigen Erschließungsfunktion letzterer unter dem Gesichtspunkt eines gerechten Vorteilsausgleichs die an den Stichwegen liegenden Grundstücke nicht gesondert zu betrachten.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.6.1992 - 2 A 2580/91 -, NWVBl. 1993, 219 (220).
Die Abhängigkeit der Anlieger unselbständiger Anhängsel vom Hauptzug lässt es unter Vorteilgesichtspunkten als notwendig erscheinen, jene nicht nur mit den Kosten der Zufahrt zu belasten, sondern sie auch an den - häufig wegen besserer Ausstattung höheren - Kosten des Hauptzugs zu beteiligen. Der Einstufung der Sackgassen als unselbständige Teile des Hauptzuges der A-Straße kann schließlich auch nicht entgegengehalten werden, dass bei bloßer Erneuerung der Sackgassen die Anlieger des Hauptzuges zu beteiligen wären, obwohl sie die ausgebauten Straßenteile nie benutzten. Ob ein isolierter Ausbau der Sackgassen überhaupt beitragsfähig wäre, beurteilt sich nach den Maßstäben der Beitragsfähigkeit eines Teilausbaus.
Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 22.1.2009 - 15 A 3137/06 -, S. 10 des amtlichen Umdrucks; Urteil vom 8.12.1995 - 15 A 2402/93 -, NWVBl. 1996, 144.
Sollte danach die Beitragsfähigkeit eines solchen Teilausbaus gegeben sein, sind auch die Anlieger an den nicht ausgebauten Teilen der Anlage beitragspflichtig. Die Beitragspflicht wird nicht durch Baumaßnahmen vor dem jeweiligen Grundstück des Beitragspflichtigen ausgelöst, sondern durch beitragspflichtige Ausbaumaßnahmen an der Anlage.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juni 2000 - 15 A 6119/96 -, S. 10 des amtlichen Umdrucks; Beschluss vom 26. Januar 2000 - 15 B 113/00 -, S. 2 f. des amtlichen Umdrucks.
Schließlich kann die isolierte Heranziehung der Anlieger des ausgebauten Hauptzugs auch nicht aus § 2 Abs. 4 2. Halbsatz der Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 KAG für Straßenbaumaßnahmen (SBS) gerechtfertigt werden. Danach ist der Aufwand für den Abschnitt einer Anlage gesondert zu ermitteln, wenn die straßenbauliche Maßnahme sich auf einen selbständig benutzbaren Abschnitt einer Anlage beschränkt. Wie das VG ausgeführt hat, handelt es sich bei den Sackgassen wegen ihrer fehlenden selbständigen Erschließungsfunktion um unselbständige Teile des Hauptzugs der A-Straße und damit nicht um selbständig benutzbare Abschnitte einer Anlage.
Im Übrigen wäre der angefochtene Bescheid auch dann - selbst nach Behebung des im folgenden benannten Satzungsmangels teilweise - rechtswidrig, wenn die Auffassung des Antragsgegners richtig wäre, dass die hier in Rede stehenden Sackgassen selbständige Anlagen darstellten. Dann wäre der ausgebaute Hauptzug der A-Straße nämlich nicht - wie geschehen - als Anliegerstraße einzustufen, sondern als Haupterschließungsstraße, denn diese Straße diente neben der Erschließung von Grundstücken gleichzeitig dem Verkehr innerhalb von Baugebieten oder innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen, nämlich dem Verkehr zu und von den Sackgassen als Anliegerstraßen (vgl. zur Definition der Haupterschließungsstraße § 3 Abs. 3 Buchstabe b SBS). Zwar setzt die Beitragssatzung für Gehwege bei allen Straßenarten unterschiedslos einen Anliegeranteil von 80 % fest, dies widerspricht jedoch § 8 Abs. 4 Satz 4 KAG NRW. Danach bleibt, wenn die Anlagen erfahrungsgemäß auch von der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden, bei der Ermittlung des Aufwandes ein dem wirtschaftlichen Vorteil der Allgemeinheit entsprechender Betrag außer Ansatz. Die undifferenzierte Festsetzung eines Anliegeranteils für Gehwege bei allen Straßentypen ist, jedenfalls für Anliegerstraßen und Haupterschließungsstraßen, unzulässig, da sie entgegen der oben genannten Vorschrift den Umstand außer acht lässt, dass Gehwege von Haupterschließungsstraßen auch dem Durchgangsfußgängerverkehr innerhalb von Baugebieten oder innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen dienen und damit erfahrungsgemäß in größerem Umfang von der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden als Gehwege von Anliegerstraßen.
Ende der Entscheidung
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